"Geschlecht existiert nicht, es sei denn als angewandtes."1
Anwendungen von Gender in der KunstPädagogik


Diesen Artikel schreibe ich vier Monate nach dem Kunstpädagogischen Generationengespräch 2003. Dort vertrat ich als künstlerische Mitarbeiterin das Gendernet der Universität der Künste2 in einem Forum mit dem Titel "FrauenKunstPädagogik: Die Gender Thematik mit neuen Fragen an die Kunstpädagogik".
In diesem Forum kam die Diskussionsbereitschaft der an Geschlechterdebatten interessierten TagungsteilnehmerInnen zusammen und sprengte den knappen Rahmen. Zusammenfassend könnte man sagen, dass Diskussions- und Handlungsbedarf hinsichtlich Institutionskritik, theoretischer Auseinandersetzung, "good practice" Beispielen, Karriereförderung und Perspektivenbildung angesprochen wurden. Diese Aufzählung ergibt ein vielfältiges, aber unvollständiges Bild von Themenfeldern, die in der Kunstpädagogik im Zusammenhang mit Gender diskutiert und bearbeitet werden wollen.

c) nanna lüth

Anwendungen von Kunst und Gender
Im Folgenden werde ich mich mit den Anwendungen von Gender an einer Kunsthochschule beschäftigen.
Hierfür werfe ich einen Blick auf das Funktionieren einer großen Institution, der Universität der Künste Berlin, die im Begriff ist, sich aus den Erziehungswissenschaften und damit der Ausbildung von KunstlehrerInnen bzw. -pädagogInnen zurückzuziehen. Allerdings wird weiter an der UdK Kunst gelehrt - so sehr sie damit hadert3. Folgt man den Argumentationen für "kunsthaftes" Handeln in der Kunstpädagogik (Pierangelo Maset) oder Kunstvermittlung "von Kunst aus" (Eva Sturm), dann ist die UdK Berlin als KünstlerInnenausbildungsort auch in Zukunft der kunstpädagogischen Betrachtung wert.
Warum spreche ich von Anwendungen und nicht von der Kategorie Gender an sich?
Auf diese Frage würde ich, Prof. Dr. Pazzini imitierend, antworten "Gender / Geschlecht existiert nicht, es sei denn als angewandtes." Dieser Satz formuliert ein konstruktivistisches4, Verständnis von Gender, wonach Geschlecht performativ - in Sprech- und Handlungsakten - (re)generiert wird.5 Geschlechtersysteme werden auf verschiedenen Ebenen reproduziert und institutionalisiert, sie haben dabei symbolische, strukturelle und individuelle Dimensionen.6
Pazzinis Absage an einen autonomen Kunstbegriff, und sein Gegenvorschlag, Kunst nur in ihren Anwendungen anzuerkennen, wozu er u.a. die Kunstpädagogik (die Kunst -Kritik, -Vermittlung, den -Handel) zählt. Die Formulierung, dass auch "freie" Kunst eine Anwendung "in das Betriebssystem hinein" sei, birgt vielversprechende Möglichkeiten zur Übertragung auf den Gender-Begriff.
Ich würde vorschlagen, dass Gender nicht als "reine" Kategorie im Zentrum des Interesses (von KunstpädagogInnen) stehen bleiben sollte, sondern, dass die Perspektive zu erweitern wäre um die Anwendungen von Gender in verschiedenen Betriebssystemen: politische Anwendungen (Gleichstellungspolitik, Gender Mainstreaming, Transgenderaktivismus), ökonomische Anwendungen (Gender Budgeting). Auch die Gender Studies wären als Anwendung "in das (akademische) Betriebssystem hinein" zu verstehen.
Wie die verschiedenen Anwendungen, die Pazzini für die Kunst feststellt, mit diversen Kunstbegriffen umgehen, basieren und verändern auch die Anwendungen von Gender dessen Bedeutung.

Gender? Welches Gender?
An der UdK Berlin existieren aktuell folgende geschlechterforschende und -politische Aktivitäten nebeneinander: die Kommission für Gender und Kultur, die die Verankerung von Gender Studies in allen Fakultäten7 vorantreibt, eine frauenpolitische Interessenvertretung durch die Frauenbeauftragen, Instrumente des Gender Mainstreaming und ein Mentoringprogramm mit dem Berufziel Professorin8.
So erlebt die UdK eine Ausdifferenzierung in Praxisformen, deren AgentInnen Geschlecht unterschiedlich, wenn nicht gar konträr verstehen. Um die Unschärfen und Widersprüchlichkeiten, die sich nicht nur hier um den Begriff Gender herum ergeben, ansatzweise nachzuzeichnen, führte ich Telefon-Interviews mit gender-engagierten Frauen verschiedener Generationen zu ihrem Gebrauch9 des Begriffs in Kunst, Lehre und Politik an der Universität der Künste.
c) nanna lüthDas erste Interview führte ich mit Katharina Jedermann, Mitglied der Kommission für Chancengleichheit und stellvertretende Vorsitzende der Kommission für Gender und Kultur, die das Gendernet berät und leitet. Sie ist Dozentin am Institut für Kunst im Kontext.

Das postgraduale Studium an diesem Institut hieß früher Künstlerweiterbildung. Ziel ist die praktische und theoretische Weiterbildung von KünstlerInnen für vielfältige Arbeitsfelder. Neben Informationen über dem Kunstbetrieb und Stipendienwesen werden hier Bereiche der Kulturpädagogik und Kunstvermittlung, Ausstellungskonzeption, Soziokultur, Kunsttherapie, Kunstkritik und wissenschaftliches Arbeiten, auch im Bereich der Gender Studies für die Mitarbeit von KünstlerInnen erschlossen.
Bis vor kurzem ein ziemliches Frauenfach. 2002 ist das Institut für die Vergabe des Master of Arts (Art in Context) akkreditiert worden. Diese Veränderung geht einher mit einer zunehmenden Anzahl männlicher Bewerber, die sich für "Kunst im Kontext" interessieren, wie K. Jedermann in unserem Gespräch feststellt. Hierfür sei ihrer Meinung nach nicht allein die akademische Anerkennung10 des Instituts ausschlaggebend, auch das verstärkte Interesse des Kunstbetriebs in den letzten Jahren an partizipatorischen oder kontextbezogenen Arbeiten sei zu berücksichtigen. Beide Phänomene stehen für eine symbolische Aufwertung sowohl des Instituts als auch des Arbeitsfeldes und damit einhergehend dessen allmähliche "Vermännlichung"11 .

c) nanna lüthDas zweite Interview führte ich mit Dr. Linda Hentschel, die als Kulturwissenschaftlerin in der Fakultät Gestaltung seit zwei Jahren schwerpunktmässig Gender und Visual Studies lehrt. Sie ist außerdem die Vorsitzende der Kommission für Gender und Kultur.

Sie spricht zunächst von den Barrieren, die der Begriff Gender schafft, sobald er aufgerufen wird. Auf Leitungsebene der Hochschule begegne man den Aktivitäten des Gendernet mit wohlwollender Toleranz, die eine grundsätzliche Fremdheit der dort Handelnden gegenüber Gender-Themen allerdings nicht verdecken könne. Ähnlich geht es der Mehrzahl der männlichen Studierenden. Um mehr Studenten als bisher für Gender Studies zu interessieren, plant sie aktuell ein Seminar zu Männlichkeitskonstruktionen. Dringend notwendig seien auch Grundlagenseminare, da davon auszugehen sei, dass zunächst "eingeschliffene Denkmuster" in Bezug auf Geschlechtlichkeit hinterfragt werden müssten, bevor an eine vertiefende themen- oder projektorientierte Bearbeitung von Gender in die Kunst überhaupt zu denken sei.
Ihre Lehre, die sich zentral mit Medientheorien beschäftigt, zielt darauf ab, dass diese "komplexen theoretischen Gedankengebäude" in die künstlerische Arbeit der StudentInnen mit einfliessen und so gleichzeitig auf ihre "Alltagstauglichkeit" hin überprüft werden.
Sie entwickelt die Vision von angewandten (!) integrierten Gender Studies, die dezentral in den Studienplänen verankert sein sollten, statt als eigenständiger Studiengang zu funktionieren.

c) nanna lüthDas letzte Gespräch führte ich mit Andrea Übelacker, Studentin in der Fakultät Bildende Kunst, Klasse Sieverding und nebenberufliche Frauenbeauftragte.

Zunächst spricht sie über die Wichtigkeit von Gender Studies für ihr Studium und ihr Verständnis von Kunst. Sie spricht von Zeiten, in denen sie sehr viel gemalt hat und wenig darüber nachgedacht, wie sie möglicherweise tradierte Vorstellungen von Geschlecht in ihrer Arbeit reproduziert. Dass ihr der gesellschaftliche Kontext von Kunst zunehmend wichtiger geworden sei, den ihr eher Gender Studies und postkoloniale Theorien als eine klassische Kunstgeschichte bieten können. Inzwischen gebe es für sie Phasen der theoretischen Auseinandersetzung, in denen sie dann weniger Bilder produziere. Vor allem in Klassen, die mit traditionellen Medien arbeiten, sei eine solche Arbeitsweise nicht selbstverständlich. Qualitätsmerkmal sei dort oft die "geniale", d.h. massenhafte Produktion von Bildern. A. Übelacker fordert, dass ein Kunststudium heute auch Raum und Zeit für die Beschäftigung mit Theorie bieten müsse.
Als nebenberufliche Frauenbeauftragte gerät sie in zwiespältige Situationen. Als Interessenvertreterin müsse sie sich bei Besetzungsverfahren manchmal für die Förderung von Gender Studies oder von Frauen entscheiden. Es gebe inzwischen auch männliche Gender-Spezialisten, die mit einer Art Bonus versehen seien, wohingegen Vertreterinnen der Gender Studies sich für diese Spezialisierung eher zu rechtfertigen hätten. Hier würden Qualifikationen je nach geschlechtlicher Zuordnung positiv oder negativ bewertet.
Vier Gender-Anwenderinnen sprachen über Rahmenbedingungen, unter denen Kunst an der UdK Berlin gelehrt und gelernt wird:
- der Geschlechtswechsel eines Arbeitsfeldes
- die Ein- und Ausschlüsse von Gender Studies
- die Durchsetzbarkeit von Chancengleichheit
- die Dekonstruktion von geschlechtlichen Stereotypen
- ungleiche Bewertungsmuster hinsichtlich professioneller Qualifikationen in Berufungsverfahren
Diese Bedingungen formen die Kunst, mit der oder "von der aus" Kunstpädagogik betrieben werden kann. Die Vielstimmigkeit dieser "Erzählungen" über Gender soll demonstrieren, wie intensive Anwendungen teilweise paradoxe Situationen hervorrufen. Ein Prozess des Aushandelns zwischen diesen Stimmen und ein kritischer Umgang mit den "Zentralbegriffen" der eigenen Anwendung - wie Gender, Kunst, Pädagogik - ist notwendig, um der Wirkkraft "absoluter" Wahrheiten und Positionen kultur- und gesellschaftspolitische Alternativen entgegenzusetzen.

1 Zitat eines Titels von Prof. Dr. Karl-Josef Pazzini: "Die Kunst existiert nicht, es sei denn als angewandte." (http://kunst.erzwiss.uni-hamburg.de/pdfs/kunst_existiert_nicht.pdf)

2 gender und kultur. das fakultätennetz. fördert die Etablierung von Gender Studies als unentbehrlichem und selbstverständlichem Bestandteil des Studiums an der Universität der Künste Berlin. Das Gendernet (http://www.gendernet.udk-berlin.de) ist die Kommunikations- und Informationsplattform von gender und kultur. das fakultätennetz. Inhaltlich hat das Fakultätennetz den Anspruch, die Überschneidungen von Gender Studies mit Diskursen wie den Postcolonial, Queer oder Visual Studies in den Blick zu nehmen.

3 "Mit dem Satz "Kunst kann man nicht lehren" (Zitat von der UdK-Homepage) ist die Endphase der institutionellen Selbstaushöhlung besiegelt: ..", Hoffmann, Johnsen, Lergon, Sieverding, Trenka-Dalton (UdK-StudentInnen) in Texte zur Kunst , März 04, S. 78 ff.

4 "Der in ... konstruktivistischen Erkenntnispositionen vollzogene Perspektivwechsel bedeutet, alltagsweltliche wie wissenschaftliche Vorstellungen von einer natürlichen Zweigeschlechtlichkeit und damit (kausal) verbundene Verhaltensweisen als soziale Konstruktionen zu analysieren." Siehe "Konstruktivismus" im Metzler Lexikon der Gender Studies, 2003, S.211

5 Mehr über die "Performanzen der Geschlechtsidentität" bei Judith Butler in Das Unbehagen der Geschlechter, 1991, S. 198 ff.

6 Genauer: "in kultureller Symbolik und körperlichem Habitus, in emotionalen Wertungen und ritualisierten Denkmustern... wie in den organisationellen Leitbildern und der Funktion von Organisationen, in übergreifend-rechtlichen Ordnungen ebenso wie in jeder alltäglichen Interaktion zwischen den Angehörigen einer Organisation" Sabine Hark inGeschlechterpolitik an Hochschulen: Perspektivenwechsel, 2001, S. 59 und 64

7 Die UdK besteht aus vier Fakultäten (Bildende Kunst, Gestaltung, Darstellende Kunst und Musik), die fünfte (Erziehungswissenschaften) befindet sich in Abwicklung. Eine Verzeichnis der jeweils aktuellen Gender-Seminare ist abzurufen unter www.gender.udk-berlin.de

8 Dieses Mentoring- Programm wird entwickelt und betreut durch das Büro für Mentoring und Chancengleichheit unter der Leitung von Dr. Sigrid Haase.

9 Im Sinne von Wittgensteins These "Die Bedeutung ist der Gebrauch." zitiert nach Maset in Praxis Kunst Pädagogik, 2001, S. 32

10 Vor Einführung des M.A. bestand der Studienabschluß aus einem international nicht anerkannten Zertifikat.

11 Ähnlich der "Umschrift der Differenz", mit der A. Wetterer/R. Gildemeister (in TraditionenBrüche. Entwicklungen feministischer Theorie, 1992, S.201 ff) derartige Geschlechtswechsel von Berufen bezeichnet haben.

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